10.04.2021
Interview: Mehr Power durch Schlaf
Beruf, Schule, Sport, Alltag – Belastungen ist jeder Mensch ausgesetzt, und zwar jeden Tag aufs Neue. Um dauerhaft leistungsfähig zu sein, muss der Körper regelmäßig die Gelegenheit bekommen, sich zu regenerieren. Am besten funktioniert das über Nacht, denn Schlaf ist der wichtigste Regenerationsbooster: In der Ruhephase kann der Körper sich erholen, Gelerntes wird abgespeichert und Krankheiten abgewehrt. Eine Erkenntnis, die durch die Schlafforschung und deren Protagonisten immer größere Aufmerksamkeit erlangt – zahlreiche Bücher haben das populär gemacht.
Der Sportmediziner Dr. Lutz Graumann setzt ebenfalls auf Maßnahmen, die die Regeneration durch guten Schlaf fördern. Im Interview erklärt er, was er darunter versteht:
Haustex: Ihr Thema ist nicht einfach nur gesunder Schlaf, sondern Regeneration. Wie definieren Sie diesen Begriff?
Dr. Graumann: Unter Regeneration verstehen wir alle Prozesse, die der Körper durchläuft auf dem Weg zur Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit. Das Ziel ist es, dass der Mensch am Ende im Einklang mit seinen Systemen ist und wieder gut gelaunt und erholt in den neuen Tag starten kann.
Haustex: Sie bewegen sich viel in der Welt des Sports. Gelten für Nicht-Sportler andere Regenerations-Regeln?
Dr. Graumann: Keinesfalls. Regeneration sollte nach dem Ende einer Belastung beginnen – das kann ein sportliches Training genauso wie ein Arbeitstag sein. Tatsächlich gibt es viele Unternehmen, die sich zu dem Thema beraten lassen. Natürlich ist es ein Unterschied, ob eine Belastung physischer oder psychischer Natur ist. Auch wie hart das Training oder wie groß die Belastung war spielt eine Rolle. Generell geht es aber immer darum, wie kriege ich die Strapazen des Alltags so abgepuffert, dass sie den nächsten Tag nicht beeinflussen.
Haustex: Warum ist regenerativer Schlaf so wichtig für den Körper?
Dr. Graumann: Es gibt vier Prozesse, die wir optimalerweise im Schlaf durchlaufen. Da ist zunächst die Entzündungsregulation. Durch körperliche Belastung, aber auch durch das, was wir essen und trinken, verursachen wir Zellschäden, die es zu reparieren gilt. Dann müssen wir Entgiften, also Leber und Niere müssen alles ausscheiden, was den Körper dauerhaft schädigen könnte. Der dritte Bereich besteht darin, Wissen und Erlebnisse zu verarbeiten. In den Traumschlafphasen verändert das Gehirn sein Aktivitätsniveau, um erlebte Dinge aus dem Kurz- in den Langzeitspeicher, also das Gedächtnis, zu überführen. Und schließlich brauchen wir ausreichend Tiefschlaf, in dem Wachstums- und Sexualhormone ausgeschüttet werden, die dafür sorgen, dass der Körper wachsen, sich selber heilen, kräftiger werden und sich an die Umgebung anpassen kann.
Haustex: Und die Regeneration kann jeder selbst beeinflussen?
Dr. Graumann: Genau. Das geht ganz einfach, indem man sich an einige Regeln hält. Dazu zählt zunächst, die Dummheiten im Alltag zu identifizieren, die man besser weglassen sollte.
Haustex: Was steht auf der Liste der „don’ts“?
Dr. Graumann: Die großen drei don‘ts, die die Regeneration behindern sind Alkohol, spätes Essen und Medienkonsum. Auch die Wirkung von Koffein wird oft unterschätzt. Bis zu acht Stunden nimmt es Einfluss auf die Schlaggeschwindigkeit des Herzens. Das heißt, man schläft zwar ein, erreicht aber die für die Regeneration wichtige Tiefschlafphase nicht. Mein Tipp: Nach 14 Uhr lieber entkoffeinierten Kaffee trinken.
Haustex: Kommen wir zu den „do‘s“, die regenerativen Schlaf begünstigen.
Dr. Graumann: Wichtig ist es, die Umgebungsgrößen zu kontrollieren. Das sind Temperatur, Luftqualität, Licht und Lärm. Dabei sind auch Hilfsmittel erlaubt: Die Temperatur kann ich beispielsweise auch über die richtige Bettwäsche oder Schlafanzüge regulieren. Licht und Lärm lasen sich notfalls über Schlafmasken oder Ohrenstöpsel reduzieren.
Haustex: Demnach sind auch äußere Einflüsse und damit das Bett und seine Ausstattung von Bedeutung?
Dr. Graumann: Auf jeden Fall. Man sollte immer ganzheitlich denken. Welche Schichten haben Einfluss auf die Nacht? Das fängt beim Bett selbst und den Materialien an, aus denen es hergestellt ist, geht über die Decke und das Kissen bis hin zu den Textilien. Eine Rolle spielt dabei auch die Gewohnheit. Wenn man beispielsweise in die Welt des Sports blickt, gibt es heute kaum noch einen Spitzensportler, der ohne sein eigenes Kissen reist. Das fördert die Regeneration nicht nur, weil es den individuellen körperlichen Bedürfnissen entspricht, sondern weil es Geborgenheit gibt. Aber auch über das Kissen hinaus ist es spannend zu erforschen, welche Funktionen die Bettdecke übernehmen kann. Die neueste Entwicklung in diesem Bereich ist in der Lage, die infrarote Wärmestrahlung unseres Körpers, über die speziellen Fasern der Bettdecke zum Körper zurück zu reflektieren. Dadurch können speziell beanspruchte Muskelpartien effektiver lokal durchblutet werden und besser mit Sauerstoff versorgt werden.
Haustex: Einschlafen, durchschlafen, aufwachen: Die Nacht lässt sich grob in diese drei Teile einteilen. Fangen wir vorn an: Welche Tipps haben Sie, um das Einschlafen zu erleichtern?
Dr. Graumann: Beim Einschlafen ist es für viele einfacher, wenn sie den Raum noch einmal verändern, zum Beispiel durch Klänge oder Aromen. Ein einfaches Meeresrauschen oder andere Naturgeräusche können helfen, in den ersten zehn Minuten runterzukommen. Wenn man durch ein Gedankenkino wachgehalten wird, können Zettel und Stift neben dem Bett eine gute Maßnahme sein. Auch Aromen wie Lavendel oder Zirbenholz wirken beruhigend.
Haustex: Was kann man bei Durchschlafproblemen tun?
Dr. Graumann: Viele Menschen haben Angst davor, in der Nacht wach zu werden und nicht sofort wieder einschlafen zu können. Diesen Druck sollte man sich nehmen. Es ist nicht schlimm, mal eine Nacht nicht so gut zu schlafen und es ist nicht schlimm, nicht sofort wieder einzuschlafen. Man muss verstehen, dass der Körper in 90-Minuten-Rhythmen regeneriert. Wenn man also nicht sofort wieder einschläft, lieber aufstehen, 75 Minuten was anderes machen und dann wieder ins Bett gehen und sich eine Viertelstunde Zeit nehmen, um in den nächsten Schlafzyklus zu kommen. Das ist, als habe ich einmal den Bus verpasst und nehme den nächsten.
Haustex: Schließlich hat auch das Aufwachen seine Tücken. Haben Sie Optimierungsvorschläge?
Dr. Graumann: Beim Aufwachen bin ich tatsächlich ein Fan von den smarten Weckfunktionen des Handys. Ich erlaube der App, meinem Schlaf zuzuhören und sie weckt mich innerhalb eines Zeitfensters von einer halben Stunde wenn ich mich gerade bewege und es raschelt. Der Alarm an sich kann aus Klängen der Natur bestehen oder auch aus Lichteffekten, die den Sonnenaufgang simulieren. So können wir vermeiden, in einer Tiefschlafphase geweckt zu werden, denn dann will der Körper eigentlich gar nicht in den Tag starten und das hängt einem oft den ganzen Tag nach. Fünf Minuten eher oder später geweckt zu werden, kann einen großen Unterschied machen.
Haustex: Sie sprachen schon darüber, dass Gewohnheit die Regeneration begünstigt. Nun ist die Zeit gerade sehr ungewöhnlich. Sehen Sie, dass die Corona-Krise Einfluss auf unseren Schlaf nimmt?
Dr. Graumann: Es gibt tatsächlich ein neues, aktuelles Phänomen in der Corona-Zeit: Durch das Homeoffice bewegen sich viele Menschen viel zu wenig und bekommen kein Sonnenlicht ab. Unser Körper braucht aber rund 20 bis 30 Minuten Sonnenlicht und mindestens 5700 Schritte am Tag, damit wir nicht depressiv werden. Schaffen wir das nicht, wird unsere Schlafqualität schlechter und der subjektive Grad der Erholung reduziert sich. Das ist ein neues Phänomen und ich kann nur an alle appellieren: Auch wenn ihr im Homeoffice seid, bewegt euch ausreichend und kommt an die frische Luft und sei es nur am offenen Fenster.
Zur Person:
Dr. Lutz Graumann ist Arzt für Sportmedizin, Ernährungsmedizin und Chirotherapie in Rosenheim. Sein Schwerpunkt liegt in der Förderung der individuellen Leistungsfähigkeit. Seit 2015 betreut er zudem als Mannschaftsarzt den Deutschen Eishockey Bund. Dr. Graumann ist Mitautor des Buches „Regeneration: Jeden Tag erholt, ausgeschlafen und erfolgreich. Für Alltag, Sport und High Performance“, erschienen im Riva-Verlag. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit André Alesi an einem neuen Buchprojekt „Ausgeschlafen“, in dem es darum gehen wird, wie guter Schlaf messbar gemacht und durch die richtige Einrichtung des Schlafzimmers gezielt beeinflusst werden kann.