Haustex - 11/22
„Bis 2025 wollen wir komplett klimaneutral sein“
Haustex: Seit beinahe 70 Jahren entwickelt und produziert Latexco Latex und PU-Schäume für die Bettenindustrie. Auf welche Meilensteine blicken Sie in Ihrer Unternehmensgeschichte zurück?
Thomas Silversmet: Latexco wurde 1955 von Sylvain Maes in Tielt in Belgien gegründet. Heute leiten sein Sohn Luc Maes und dessen Tochter Carole Maes das Familienunternehmen gemeinsam. In den ersten Jahren war Latexco sowohl in der Betten- als auch in der Möbelindustrie tätig. Die Entscheidung, sich komplett auf die Bettenbranche zu konzentrieren, fiel in den 1980er-Jahren. Bereits in den 90ern investierte Latexco stark in das Thema Nachhaltigkeit: In unserem Tochterunternehmen Latexco Solutions wird seither unter anderem der Abfall aus der Schaumproduktion recycelt. In 2005 wurde ein extra Latexwerk in Saragosse in Spanien gebaut. Und die 2010er-Jahre nutzte Latexco schließlich für die Entwicklung der Sonocore/Pulse-Technologie, ein patentierten Verfahrens zur Herstellung von Latex über Mikrowellen und startete mit Latexco Fom eine Produktreihe bestehend aus technischen PU-Schäumen.
Haustex: Lässt sich diese Unternehmensentwicklung in Zahlen ausdrücken?
Silversmet: Latexco ist heute an fünf Standorten aktiv und beschäftigt mehr als 400 Mitarbeiter. Wir erwirtschaften einen Jahresumsatz von über 150 Millionen Euro.
Haustex: Welche Produkte bietet Latexco an?
Silversmet: Wir fertigen Plattenware, natürlich Matratzenkerne, aber auch Kissen. Für die Kerne und Kissen haben wir mehr als 2000 individuellen Formen. Von Standardgrößen bis hin zu den verschiedensten Sondermaßen sind die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. Pro Jahr fertigen wir mehr als eine Millionen Matratzenkerne und 650.000 Kissen. Die laufenden Geschäftsbereiche bewegen sich vom klassischen Latexbereich, sowohl natürlich als auch synthetisch, über die Schaumstoffabteilung bis hin zum FusionBereich, wo beides miteinander kombiniert wird. Latex produzieren wir als unsere Kernkompetenz übrigens in zwei Verfahren: Dunlop und dem neuen Sonocore/Pulse-Verfahren.
Haustex: Worin unterscheiden sich diese Verfahren voneinander?
Silversmet: Bei der klassischen Dunlop-Variante wird mehr als 100 Grad heißer Dampf verwendet, um den Latex zu verbacken, sowohl endlos für Plattenware als in Formen für Kissen und Matratzenkerne wobei die Stifte das Design bestimmen. Das Pulse-Verfahren haben wir bei Latexco selbst entwickelt. Dabei werden für das Backen des Latex Mikrowellen genutzt. Ein entscheidender Vorteil dieser Variante ist ein vergleichsweise geringer Energie- und Arbeitseinsatz. In beiden Punkten schneidet das Pulse-Verfahren am besten ab.
Haustex: Wie sieht so ein Arbeitsprozess aus?
Silversmet: Zunächst stellen wir eine Rezeptur her. Im Bereich Naturlatex bleibt der Rohstoff selbstverständlich pur, im synthetischen Bereich machen wir immer eine Mischung aus synthetischem und natürlichem Latex. Dazu mischen wir Zusatzstoffe für den Vulkanisationsprozess. Der Schaum wird dann in die gewünschte Form gegossen, gebacken und im Anschluss gewaschen und getrocknet, um die Zusatzstoffe wieder zu entfernen.
Haustex: Nachhaltigkeit hat für Latexco eine große Bedeutung. Wie gehen Sie konkret mit diesem Thema um?
Nathalie Verheye: Wir sind seit jeher ein Pionier in der nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Auch aktuell steht das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf unserer Prioritätenliste und wir arbeiten permanent daran, die Umweltauswirkungen unserer Aktivitäten zu minimieren. Zum Beispiel nutzen wir eine eigene Wasseraufbereitungsanlage, unsere Energie ist zu 100 Prozent grün und wir haben mit Solutions ein eigenes Recyclingunternehmen gegründet. Hinzu kommt die besondere Nachhaltigkeit von Naturlatex, unserem wichtigsten Rohstoff. Die Milch des Kautschukbaums ist eine unendliche Quelle und die Bäume speichern pro Jahr 100 Millionen Tonnen des Treibhausgases CO2.
Haustex: Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie aktuell?
Silversmet: Wir fokussieren uns vor allem auf drei Maßnahmen: die Produktlebenszyklusanalyse, also die Ermittlung unseres CO2-Fußabdrucks, die Einführung unseres Zertifizierungskonzepts Moreganic und die Umstellung auf FSC und FSC-MIX für alle unserer Latexkomponenten.
Haustex: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Produktlebenszyklusanalyse für die Matratzenindustrie im Allgemeinen ein?
Silversmet: Wir erwarten, dass die Produktlebenszyklusanalyse künftig die europäische Norm für die Nachhaltigkeit von Matratzen sein wird. Mit den Richtlinien, die ab 2025 in dem Standard CEN TC 207 festgelegt sind, findet dann auch bei Matratzen eine ökologische Klassifizierung statt, ähnlich dem Nutri-Score bei Lebensmitteln. Berücksichtigt wird dabei die komplette Ökobilanz, von der Rohstoffgewinnung über den Herstellungsprozess bis hin zur Unternehmensführung. Was genau im Herstellungsprozess passiert, wie groß der CO2-Fußabdruck ist und welche Schadstoffe enthalten sind, kann dann in Form von Zahlen oder Buchstaben eingeteilt werden. Wir halten dieses Verfahren für sehr sinnvoll und sind überzeugt, dass der Rohstoff Latex die besten Voraussetzungen bietet, hier sehr gut abzuschneiden.
Haustex: Wie kann Latexco die Anforderungen der Produktlebenszyklusanalyse erfüllen?
Silversmet: Indem wir uns, sowohl im Herstellungsprozess als auch bei den Produkteigenschaften, so breit wie möglich aufstellen. Wir nutzen intensiv Möglichkeiten des Upcyclings und Recyclings, mit dem Ziel, möglichst wenig neue Rohstoffe einzusetzen und möglichst wenig Energie für die Produktion zu verbrauchen. Beispielsweise bieten wir an, Produktionsreste, aber auch gebrauchte Matratzen wieder abzuholen und komplett neu zu verarbeiten. Das ist die Aufgabe unseres Tochterunternehmens Latexco Solutions. Dort entstehen nicht nur aus alten Matratzen, sondern auch aus dem Abfall in unserer Produktion neue Produkte wie Kuh-Matratzen für die Viehhaltung, Oberflächenbeläge für Kinder-Spielräume, Isolationsschäume und Sicherheitsabdeckungen für Fenster. Insgesamt produziert Latexco jedes Jahr 15.000 Tonnen hochwertige Latexkomponenten. Aktuell werden davon 2.500 Tonnen bei Latexco Solutions zurückgenommen und recycelt. Bis 2025 wollen wir diese Quote mindestens verdoppeln und zudem weitere Latexabfälle aus der Branche zurücknehmen. Selbstverständlich nur, wenn es logistisch sinnvoll ist.
Haustex: Gibt es denn schon Recyclinglösungen, die aus einer alten Matratze eine neue machen?
Silversmet: Auch daran arbeiten wir. Wir sind mit den bisherigen Ergebnissen noch nicht ganz zufrieden, aber es entwickelt sich und sieht gut aus für die Zukunft.
Haustex: Um die Nachhaltigkeit des Unternehmens und der Produkte auch nach außen hin zu dokumentieren, ist Latexco mit sehr vielen Gütesiegeln zertifiziert.
Verheye: Es ist uns sehr wichtig, dass auf unseren Produkten nicht irgendwelche Label kleben, sondern dass alles transparent und qualitativ hochwertig ist. Leider bleibt bei der Vielzahl der Gütesiegel die Übersichtlichkeit manchmal ein bisschen auf der Strecke. Auch aus diesem Grund haben wir den Standard Moreganic entwickelt.
Haustex: Was verbirgt sich dahinter?
Silversmet: Moreganic ist ein ganz neues Konzept, ein neuer Typ von Zertifizierung. Knapp zusammengefasst wollen wir damit nicht nur auf einzelne Komponenten blicken, sondern ein komplettes Biotop kreieren und im Anspruch immer einen Schritt weiter gehen als die herkömmlichen Zertifikate. Deshalb hat Moreganic zwei Dimensionen: einen ökologischen Anspruch im Bereich der Agroforestwirtschaft, wobei der Latex von der Plantage bis zum Endverbraucher nachverfolgbar ist, sowie eine ethische Dimension, die eine faire Behandlung und Unterstützung der Kleinbauern auf den Kautschuk-Plantagen sichert. Ein zusätzlicher Vorteil besteht darin, dass sowohl für die Plantagen als auch für den Endverbraucher ein wirtschaftlicher Mehrwert entsteht. Mit dem Moreganic Standard will Latexco schnellstens komplett klimaneutral sein.
Haustex: Welche Schritte sind erforderlich, um dieses Ziel zu erreichen?
Silversmet: Dazu gehört auf jeden Fall die bereits erwähnte Produktlebenszyklusanalyse, also eine exakte Analyse unserer CO2-Bilanz. Zudem ist der Standard Forest Stewardship Council (FSC) für uns von besonderer Bedeutung, da unser Hauptrohstoff Latex ja aus dem Wald kommt. Auch die Rückverfolgbarkeit ist ein wichtiger Faktor. Wir müssen sicher sein, dass unser Naturlatex ausschließlich aus kontrollierten Gebieten kommt, wo es keine Abholzungen gibt. Alle unsere reinen Naturprodukte sind bereits FSC-zertifiziert. Im Laufe des nächsten Jahres sollen auch unsere Mischungen, die ja aus einem Teil Naturlatex und einem Teil Synthetik bestehen, zertifiziert werden.
Haustex: Was bedeutet der Moreganic Standard für die einzelne Kautschukplantage?
Verheye: Vor allem, dass wir damit die Plantage nicht allein als Quelle für den von uns benötigten Rohstoff Naturlatex im Blick haben, sondern als gesamten Lebensraum, mit den Tieren die dort leben und den Pflanzen, die dort wachsen. Wir sorgen uns um Faktoren wie die Wasserversorgung, die Fruchtbarkeit des Bodens und den Schutz vor Unwettern. Zudem unterstützen wir die Kleinbauern dabei, mögliche Einkommensquellen zu nutzen, die die Plantagen neben den Kautschukbäumen bieten. Dazu können etwa Teepflanzen zählen, Honigbienen, aber auch ein möglicher Anbau von Obst- oder Gemüsesorten. So soll ein komplettes Biotop geschaffen werden, wo die Umwelt geschützt sowie Menschen und Tiere versorgt werden.
Haustex: Latexco arbeitet seit knapp drei Jahren an dem Konzept. Wie viele Betriebe sind bereits Moreganic-zertifiziert?
Silversmet: Moreganic wurde unter Federführung der Umweltmanagement- und Klimawandelexpertin Dr. Pattrishiya D de Zoysa bei Latexco entwickelt und wird von dem Service-Unternehmen Control Union zertifiziert. Das Unternehmen Latexco selbst, gut 100 kleinbäuerliche Plantagen und eine Zentrifugenanlage wurden im Laufe des Jahres 2021 zertifiziert. Die erste Produkteinführung war im Juni 2022. Das Produktangebot beschränkt sich aktuell noch auf Kissen, soll aber sukzessive erweitert werden mit Toppern und Matratzenkernen.
Verheye: Wir sind sicher, dass Moreganic nach und nach bekannter und interessanter werden wird. Mehrere große Unternehmen haben bereits ihr Interesse bekundet, und bei einigen von ihnen sind die ersten Projekte angelaufen. In Deutschland haben die ersten Gespräche begonnen, und wir sind sicher, dass auch hier bald einige Projekte folgen werden. In Deutschland gucken wir in diesem Zusammenhang vor allem auf die reinen Naturproduzenten. Aber wenn Anfragen von anderer Seite kommen, freuen wir uns natürlich genauso.
Haustex: Warum glauben Sie, dass die Branche ein Zertifikat wie Moreganic braucht?
Silversmet: Weil es den stetig wachsenden Ansprüchen, die beim Thema Nachhaltigkeit an den Markt gestellt werden, gerecht wird. Auch die Konsumenten werden immer kritischer, nicht zuletzt nachdem die Pandemie ihren Blick noch mehr auf ein gutes, gesundes und verantwortungsbewusstes Leben gelenkt hat. Das Zertifikat fasst sozusagen alle wichtigen Punkte aus den verschiedenen Normen unter einer Überschrift zusammen. Und schließlich bietet Moreganic im Zertifizierungsdschungel Übersichtlichkeit und Transparenz.
Haustex: In Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie spielt Moreganic demnach eine zentrale Rolle.
Silversmet: Richtig, Nachhaltigkeit ist für uns eine Vision und eine Mission. Wir gucken ständig, was wir tun können, um Produkte für den guten Schlaf zu fertigen und zugleich etwas Gutes für die Umwelt zu tun. Unsere Ambition ist ja, bis 2025 mit komplett CO2-neutral zu sein – vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Moreganic ist dafür genau der richtige Weg.
Haustex: Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick auf die allgemeine Marktlage werfen. Welche aktuellen und welche Zukunftsthemen beschäftigt Latexco?
Silversmet: Die Marktsituation ist aktuell natürlich auch für uns nicht so angenehmen. Vor dem Hintergrund all dessen, was in Europa und in der Welt passiert, sehen wir, dass die Menschen Angst haben. Sie sorgen sich wegen ihrer Energieabrechnungen und wegen des Krieges in der Ukraine. Deshalb warten sie oft lieber ab und behalten ihr Geld in ihren Taschen.
Verheye: Hinzu kommt, dass 2020/2021 gefühlt jeder Europäer eine neue Matratze gekauft hat. Langsam sind wohl alle versorgt. Bis Ende Februar 2022 war das Geschäft auch noch gut, aber seitdem ist es zurückgegangen. Jetzt müssen wir abwarten, wie vor diesem Hintergrund das normalerweise sehr gute Herbstgeschäft läuft.
Silversmet: Zusammengefasst beschäftigen uns die angespannte Marktlage, die Preiserhöhungen und Unsicherheiten bei den Kunden, aber auch Faktoren wie die Energie- und Lohnkosten erhöhen die Unsicherheit für alle Parteien.
Haustex: Wird Latexco auch 2023 auf Messen in Deutschland präsent sein?
Silversmet: Im Mai 2023 werden wir auf jeden Fall auf der Interzum präsent sein, aber nicht mehr ganz so umfangreich wie vorher. Das ist sicher bei vielen so und hat natürlich auch mit wirtschaftliche Unsicherheit zu tun. Wir werden auf der Interzum den Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit setzen, aber nicht die komplette Palette zeigen, sondern uns auf einige zentrale Produkte konzentrieren. Wir haben auch einige Neu Entwicklungen im Schaumbereich, die wir in Köln präsentieren möchten.
Haustex: Der gemeinsame Nenner von allen Aktivitäten bei Latexco ist also das Thema Nachhaltigkeit.
Silversmet: Ja, und wir sind davon überzeugt, dass dies für uns jetzt die richtige Entscheidung ist, um auch dauerhaft erfolgreich zu bleiben. Auch in allen anderen Bereichen wird aktuell ja, sei es seitens der Regierungen, aber auch von den Endverbrauchern, nachhaltigeres Handeln gefordert. Der Markt fragt mehr und mehr nach Naturlösungen. Mit unseren Latexprodukten bieten wir dafür die perfekte Antwort.
mögliche Zitate:
„Auch aktuell steht das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf unserer Prioritätenliste und wir arbeiten permanent daran, die Umweltauswirkungen unserer Aktivitäten zu minimieren.“
„Wir erwarten, dass die Produktlebenszyklusanalyse künftig die europäische Norm für die Nachhaltigkeit von Matratzen sein wird.“
„Wir nutzen intensiv Möglichkeiten des Upcyclings und Recyclings, mit dem Ziel, möglichst wenig neue Rohstoffe einzusetzen und möglichst wenig Energie für die Produktion zu verbrauchen.“
„Alle unsere reinen Naturprodukte sind bereits FSC-zertifiziert.“
„Richtig, Nachhaltigkeit ist für uns eine Vision und eine Mission.“
Latexco in Kürze:
Latexco N.V.
Sint Amandstraat 8/B
8700 Tielt Belgien
Tel.: 0032/51402431
Fax: 0032/51405566
E-Mail: info@latexco.com
Internet: www.latexco.be
Inhaber: Luc Maes, Carole Maes
Verkaufsleitung Europa: Nathalie Verheye
Produkte: Matratzenkerne, Platten und Kissen aus Latex (Naturlatex sowie Mischungen), PU-Schäumen sowie Kombinationen aus Latex und PU-Schäumen
Jahresumsatz: + 150 Mio. Euro
Mitarbeiterzahl: + 400
Weitere Standorte: Saragossa/Spanien, Singapur, Surabaya /Indonesien, Sao Paolo/ Brasilien.
Export: weltweit